Die Seele Singapurs
Der Tekka Market im Herzen von Singapurs Stadtviertel Little India ist ein Frontalangriff auf alle Sinne. Riechorgane und Schleimhäute kapitulieren vor den geballten Düften, die Augen wissen nicht, wohin sie zuerst blicken sollen. Überall türmen sich exotische Früchte, Gemüse, und Kräuterbüschel, hunderte von Saucen und Gewürzmischungen stehen zur Wahl. Johann Lafer begutachtet eine rote, stachelige Rambutan-Frucht, riecht an einer gelben Mango: „So perfekt gereift bekommen wir sie in Europa gar nicht.“ Beim Fischhändler bestaunt er das Angebot: Seebrasse, Thunfisch, Dorade, Red Snapper, dazu ultrafrische Garnelen und Krebse – da geht ihm das Herz auf.
So ein Einkaufsbummel weckt den Appetit. Da trifft es sich gut, dass sich im ersten Stock der Markthalle die Garküchen drängen. Sie sind hier, wie überall in Singapur, unter einem Dach versammelt, weil sich so die Hygiene besser kontrollieren lässt. Hawker Centre, so nennt man diese Konzentration von Streetfood, insgesamt 114 gibt es im Stadtgebiet. Eine geniale Idee, findet Streetfood-Fan Lafer: „Man kann bedenkenlos alles probieren und sich durch ganz Asien essen, die Auswahl ist riesig.“ Er steuert den kleinen Stand von Li Rufang an, deren Nudelsuppe mit Garnelen ihn bei einem früheren Besuch begeisterte.
„545 Whampoa Prawn Noodles“, so steht es in roter Leuchtschrift über dem winzigen Stand. Die junge Garköchin freut sich über das Wiedersehen mit dem berühmten Kollegen. Seit zwei Uhr ist sie auf den Beinen, weil sie die Brühe für ihre Nudelsuppe jede Nacht mit den Garnelenkarkassen frisch ansetzt. Morgens um sieben stehen schon die ersten Stammgäste Schlange. Johann Lafer nimmt an einem der bunten Resopaltische Platz und bekommt eine duftende Schüssel Nudeln serviert: Die Garnelen kauft Li Rufang direkt beim Fischer, erst kurz vor dem Servieren gibt sie die frischen Nudeln in die Suppe, zwei Sorten, dicke gelbe aus Weizenmehl und feine Vermicelli aus Reismehl. Dazu kommt knusprig frittierter Knoblauch, Ketchup und jede Menge Chilischärfe, ganz knapp unter der Schmerzgrenze. „Ein großer Genuss“, sagt Johann Lafer. „Und das für umgerechnet etwa 3,50 Euro.“
Auch für guten Kaffee ist im Hawker Centre gesorgt: Ein paar Stände weiter gibt es bei „Generation Coffee“ frisch gemahlenen und gebrühten Specialty Coffee, die Bohnen beziehen die jungen Betreiber direkt von Plantagen in Brasilien, Äthiopien oder Kolumbien. Danach bummelt der Spitzenkoch noch ein wenig durch die Straßen von Little India, wo es überall nach Tandoori und Biryani duftet: „Ich mag an Singapur besonders das Multikulturelle, hier kommen Einflüsse aus ganz Asien zusammen, ein echter Melting Pot, auch kulinarisch.“ Auf Sightseeing verzichtet Lafer – er kennt die Stadt. Durch seine Zusammenarbeit mit Singapore Airlines, für deren Flüge er regelmäßig Bordmenüs auf Gourmetniveau entwickelt besucht er den Stadtstaat seit vielen Jahren regelmäßig. Und dann ist da noch die Formel 1: „Ich habe in den letzten Jahren keines der Rennen hier verpasst.“
Eine beliebte Sehenswürdigkeit müsste er eh nicht eigens besuchen, denn er übernachtet dort: das Raffles Hotel. „Hier war ich schon vor 20 Jahren als Gastkoch engagiert, seither bin ich dem Haus eng verbunden.“ Der schneeweiße Bau an der Beach Road hat sich als eines der ganz wenigen Kolonialgebäude der Metropole zwischen all den glitzernden Wolkenkratzern behauptet. Der markante Bau, eröffnet 1887, wirkt mit seiner imposanten Fassade, den blühenden Frangipani-Bäumen im Garten und den turbantragenden indischen Türstehern in dieser zukunftsorientierten Stadt wie aus einer anderen Welt. Für die meisten Singapur-Besucher steht ein Abstecher hierher fest auf dem Programm, um in der legendären Long Bar des Hauses einen Singapore Sling zu trinken.
Den berühmten Cocktail will sich auch der Spitzenkoch nicht entgehen lassen. Während er ihn genießt, lässt er sich vom Barkeeper nochmal dessen Geschichte erzählen: Er wurde in den 1920ern kreiert, als es sich für Ladies eigentlich nicht schickte, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Der pinkfarbene Singapore Sling, der neben Gin und Kirschlikör auch Ananassaft und Grenadine enthält, konnte optisch auch als Fruchtpunsch durchgehen. Das Originalrezept des Bestsellers bewahrt das Hotel bis heute in einem Safe auf, mit ihren silbernen Mixbechern sind die Barkeeper im Dauereinsatz.
Abends ist ein Tisch im „Butcher’s Block“, einem von sechs Restaurants des Hotels, reserviert. Hier wird in legerem Rahmen gegessen und über offenem Holzfeuer gekocht. Der Besucher aus Deutschland lässt sich von seinen Kollegen die Küche zeigen und ist vor allem beeindruckt vom Dry-Aging-Raum, wo ausgewählte Cuts auf den Punkt gereift werden, bevor sie auf den Grill wandern. Besonders gut schmeckt ihm anschließend gegrillter Wolfsbarsch mit Miso-Nussbutter-Sabayon und hauchdünn geschnittenes und im Wok gebratenes Wagyu mit geräuchertem Eigelb.
Am nächsten Morgen zieht es Johann Lafer auf Shopping-Tour nach Chinatown, denn er weiß: „Dort kann man bei Antiquitätenhändlern mit etwas Glück noch echte Funde machen.“ Er ist vor allem auf Teller, Schalen und andere Objekte der Tischkultur aus. Schon bald ist klar: Beim Rückflug muss Übergepäck gebucht werden. Auch wegen der großen Tüte voller Hoisin-Saucen, Hummeröl und gereifter Sojasaucen, die er beim Spezialanbieter „Pat Chun“ auswählt: „Der Umami-Geschmack ist unerreicht.“
Kein Wunder, dass sich bei soviel Anregungen schon bald wieder der erste Appetit regt. Der Chef weiß, was er jetzt braucht: „Eine Portion Hainanese Chicken Rice, das ist so etwas wie das Nationalgericht von Singapur.“ Er steuert das Hawker Centre in der Maxwell Road im Herzen von Chinatown an, das berühmt ist für diese Spezialität. Bei „Ah Tai“ holt er sich einen Teller und beginnt noch im Stehen genüsslich zu löffeln. Hainanese Chicken Rice besteht aus butterzart gekochtem Huhn mit Reis, der mit Hühnerbrühe und verschiedenen Kräutern gegart wurde. Klingt unspektakulär, ist aber eine Delikatesse. „Der Reis ist so duftig und köstlich“, sagt der Spitzenkoch, „den könnte ich auch pur essen.“
Nach dem kleinen Snack möchte Johann Lafer noch bei „Teck Sang“ vorbeischauen, einem Händler für traditionell chinesische Zutaten. Sein Lieblingskauf: „Getrocknete Jakobsmuscheln – die sind der Traum in einem Fischfond.“ Und auch der kleine Teeladen Pek Sin Choon, der am Weg liegt, bleibt nicht unbesucht, hier kauft der Tee-Fan nach einer ausgiebigen Verkostung verschiedene Grüntees, außerdem Jasmin- und Oolong- Tee. Und dann ist schon wieder Zeit fürs Mittagessen. Ein Singapurer Kollege hat Lafer eine Adresse für besondere Fischspezialitäten empfohlen: „Naked Finn“.
Das kleine, von außen unscheinbare Lokal liegt abseits der üblichen Touristenpfade am Stadtrand, aber die Fahrt lohnt sich. Der berühmte Besucher aus Deutschland wird vom Inhaber persönlich begrüßt: Ken Loon führt fünf Restaurants und importiert Fisch und Meeresfrüchte direkt aus Japan: „Innerhalb von drei Tagen ist die Ware vom Fischer bei uns in der Küche.“ In schneller Folge lässt er die Gerichte servieren: über Holzkohle gegrillte Baby-Calamari mit Traubenkernöl und frittiertem Kopfsalat, Taschenkrebs in hausgemachter Chilisauce und als Spezialität die Bäckchen einer pazifischen Rochenart mit Gewürzbutter und eingelegter Papaya. Selbst ein so erfahrener Esser wie Johann Lafer staunt: „Frische und Qualität sind unerreicht.“
Zurück in der Stadt steigt der Spitzenkoch am Clark Quay in eines der historischen „Bumboats“, überdachte Holzboote, mit denen früher Waren den Singapore River hinauf transportiert wurden. Heute laden die bunten Barken zur Cruise durch das Stadtzentrum ein, vorbei an traditionellen Shophouses, in denen nun Restaurants und Bars untergebracht sind, und am Gebäude des historischen Postamtes, das mittlerweile das Fullerton Hotel beherbergt, bis man schließlich den ultramodernen Marina Bay Sands-Komplex erreicht, der mit seiner markanten Silhouette die Skyline Singapurs dominiert. Und weil gerade die beste Zeit für einen Sundowner ist, geht es per Aufzug hoch zum Skypark in 194 Metern Höhe.
VonhierobenhatmannichtnurdenbestenAusblickauf die Stadt, sondern auch Richtung Meer, wo in den vergangenen Jahren auf neugewonnenem Land die Gardens by the Bay entstanden, ein botanischer Garten des 21. Jahrhunderts mit futuristischen Gewächshäusern und den über und über bewachsenen „Supertrees“.
Zum Abschied möchte Johann Lafer nochmal ganz tief in Singapurs chinesische Esskultur eintauchen und probiert mit dem „Yi by Jereme Leung“ ein weiteres Restaurant des Raffles aus. Celebrity-Chef Leung ist in Singapur aufgewachsen, hat lange in China gearbeitet und vereint auf seiner Karte Einflüsse aus Szechuan, Kanton und anderen Regionalküchen. Zu seinen Signature-Gerichten zählen eine ultraknusprige Version der Peking-Ente mit einer Sauce aus Rosen und fermentierten Bohnen. Besonders fasziniert aber ist Lafer von der raffinierten Schnitttechnik, mit der Leung seine „Gurke in 100 Ringen“ hauchdünn auffächert und das vorab aufwändig marinierte Gemüse auf dem Teller zum Türmchen stapelt, gekrönt von pochierten Seeschnecken. „Das ist ganz großes Handwerk“, staunt Johann Lafer. „Und eine Portion fernöstliche Küchenmagie.“
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aus dem Lafer Journal, Ausgabe 04/2022
Jahreszeiten Verlag GmbH, jalag.de
Text: Patricia Bröhm |
Fotos: John Heng |